Bei der Multifamilientherapie handelt es sich um ein Gruppensetting mit mehreren Familien. Wie in anderen Gruppentherapien wird dabei genutzt, dass es meistens eine eingeengte Sichtweise für eigene Probleme gibt, aber eine hohe Sensitivität für die Probleme anderer vorhanden ist. Das Ziel in diesem Behandlungssetting ist, dass die Familien sich gegenseitig unterstützen und helfen, eigene passende Veränderungsmöglichkeiten zu sehen und umzusetzen. Die Hauptaufgabe der anleitenden Therapeuten ist es dabei eine Gruppenatmosphäre zu schaffen, in der dies möglich ist.

Die Methodik der Multifamilientherapie wurde in den 1970er Jahren in London von Eia Asen entwickelt und seit den 1990er Jahren in der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Dresden durch Prof. Dr. Michael Scholz weiterentwickelt und in Deutschland verbreitet. Die Methode wurde zunehmend in verschiedenen Bereichen eingesetzt – in Kliniken, der Jugendhilfe und in Schulen. Dabei werden teilweise unterschiedliche Begriffe verwendet; man spricht auch von einer Mehrfamilientherapie oder auch von einer Multifamilienarbeit oder einem Multifamiliencoaching, je nachdem in welchem Bereich die Methode angewandt wird.

Ein Kern in dieser Behandlungsform ist, dass familienzentriert statt kindzentriert mit Partizipation der Kinder vorgegangen wird. Eine wichtige Hauptvoraussetzung ist, dass die Verantwortung konsequent bei den Eltern bleibt, und damit dem vorbestehenden traditionellen Helferverständnis widerspricht. Meist besteht eine Erwartungshaltung an die Experten, dass die elterliche Verantwortung für das Kind an Fachpersonen delegiert werden kann. Damit, dass diese Verantwortungsübernahme nicht erfolgt und die Betonung auf der Wichtigkeit der elterlichen Verantwortlichkeit liegt, erfahren die Eltern eine Aufwertung ihrer Rolle und Bedeutung für das Kind.

Die Grundhaltung der Multifamilientherapie ist ressourcenorientiert und lösungsfokussiert, und gegenüber den Familien akzeptierend, wertschätzend, wohlwollend und aufmerksam und dadurch wird eine Atmosphäre der Hoffnung und positiver Erwartungshaltung geschaffen. Von hoher Bedeutung ist eine wertschätzende Grundhaltung der Therapeuten oder Coaches, die auch Modellcharakter hat. Wertschätzung ist dabei nicht als eine beständige Eigenschaft zu sehen, sondern muss immer wieder erarbeitet werden. Wichtig ist dabei der Erhalt der Neugier und echtem Interesse an den Familien und eine Haltung, die an das Vorhandensein familiärer Ressourcen vertraut. Vermieden werden soll in diesem Kontext Eltern oder Kinder aufgrund von Vorerfahrungen in Schubladen zu stecken. Dabei ist es immer wieder wichtig sich vor Augen zu führen, dass Eltern in den allermeisten Fällen das Beste für ihr Kind wollen. Sie wollen stolz auf ihr Kind sein, sie wollen einen guten Einfluss auf ihr Kind haben, sie wollen gerne positive Dinge über ihr Kind hören, sie wollen ihrem Kind gute Ausbildungs- und Erfolgschancen geben und wichtig ist, dass alle Eltern eine gute Beziehung zu ihren Kindern haben wollen – und an diesen Punkten gilt es gemeinsam anzusetzen.

In der Multifamilientherapie wird mit einem Methoden- und Werkzeugkoffer mit sehr unterschiedlichen Übungen gearbeitet: Kennenlern- und Verbindungsübungen der Gruppe, Spiele zum Auflockern und für Bewegungspausen, Übungen zur Stärkung der Familienidentität und Beziehungen, Auseinandersetzung mit spezifischen gemeinsamen Themen. Eltern und Kinder werden durch spezielle Übungen angeregt, miteinander in eine positive Beziehung zu treten und sich besser ineinander hineinversetzen zu können. In der Spiegelung in anderen Familien mit ähnlichen Problemen können Eltern erkennen, mit welcher Erziehungshaltung Kindern die Akzeptanz von Anforderungen leichter gemacht wird. Wichtig ist dabei, dass immer wieder ein Wechsel von Aktivitäten, der Position im Raum und des Kontextes zu einem abwechslungsreichen Mix führen. Von großer Bedeutung ist dabei, dass sich alle in der Gruppe wohl und von den anderen angenommen fühlen. Probleme können in ganz verschiedenen Settings besprochen werden, z. B. können die Eltern- und die Kindergruppe getrennt arbeiten und anschließend die Ergebnisse ausgetauscht und zusammengeführt werden. Es gibt auch die Möglichkeit, mit „Adoptivfamilien“ (im Elterntausch) zu arbeiten und die Erkenntnisse durch den Rollenwechsel hinterher in der Gruppe zu besprechen. Die Aufgabe der Familientherapeuten ist es, ein für die Gruppe passendes und interessantes Übungsschema aufzustellen. Damit wird eine sehr konstruktive und gemeinsame Arbeitsatmosphäre geschaffen, das Erleben einer wertschätzenden Atmosphäre ist sehr wichtig und gibt Modell für die Kommunikation miteinander. Die Ressourcenfokussierung, Stärkung und das Erleben von eigenen sowie der Fähigkeiten von Anderen ermöglicht wieder einen optimistischen Blick und lässt wieder Hoffnung entstehen. Das Erleben und die Auseinandersetzung mit verschiedenen Sichtweisen wird als Bereicherung erlebt. Das Entdecken von Gemeinsamkeiten aus der Außensicht und die indirekte Anregung von eigener Reflexion ist ein wichtiger Wirkmechanismus.

Die Multifamilientherapie kann in offenen, halboffenen oder geschlossenen Gruppen durchgeführt werden. Geschlossene Gruppen bedeutet, dass mehrere Familien vom ersten bis zum letzten Mal zusammenbleiben, sich gut kennenlernen und sich dabei immer besser gegenseitig unterstützen können. Wichtig ist für die Zusammensetzung einer Multifamilientherapiegruppe, dass es Gemeinsamkeiten gibt. Eine Gemeinsamkeit kann sein, dass die Kinder im gleichen Entwicklungsalter sind, dass sie ähnliche Probleme haben oder dass sie wegen einer psychischen Erkrankung behandelt werden müssen.

Im klinischen Kontext gibt es auch störungsspezifische Multifamilientherapieansätze, z. B. dass diese bei Patienten mit einer Essstörung durchgeführt wird oder bei Patienten mit einer Suchterkrankung, einer Autismusspektrumstörung oder einer Geschlechtsdysphorie. Diese störungsspezifischen Gruppen haben den Vorteil, dass die Familien einander sehr gut verstehen können, sich Tipps geben können und für das Problem für andere selber zu Fachleuten werden.

Häufig wird MFT als ein Therapiebaustein einer multimodalen Behandlung eingesetzt. Es gibt aber auch Behandlungssettings in denen die multifamilientherapeutischen Ansätze den Schwerpunkt bilden z.B. in Eltern-Kind-Behandlungen, Familientagesklinik für Essgestörte nach dem Dresdener Modell.